Entscheidend ist die CO2-Bilanz!

Interview mit Florian Lichtblau. Das Bauen verbraucht sehr viel Ressourcen und Energie. Allerdings sind nicht alle Bauweisen gleich. Deshalb modernisierte der Münchner Architekt Florian Lichtblau eine große Wohnanlage in Holzbauweise.

Herr Lichtblau, Sie sanierten eine 1950er-Jahre-Wohnanlage in Holzbauweise. Warum mit Holz?

Der Begriff „Gesamterneuerung“ trifft auf dieses Projekt besser zu, denn wir gingen weit über die üblichen Sanierungsmaßnahmen hinaus und gestalteten neben der energetischen Ertüchtigung der Fassaden die Bausubstanz tiefgreifend um: Wir änderten das Erschließungssystem durch neue Laubengänge und konnten so den Wohnungen die vormals innen liegenden Treppenhäuser zuschlagen. Wir stockten die vorher dreigeschossigen Gebäude um ein Geschoss auf, erweiterten eines um einen Anbau und ersetzten eines durch einen Neubau. In Holzbauweise haben wir die Baumaßnahmen durchgeführt, weil sie nicht nur unschlagbar nachhaltig ist, sondern auch viele weitere Vorteile bietet: Durch ihr relativ geringes Gewicht ermöglicht sie Aufstockungen auch bei Gebäuden mit geringen statischen Reserven. Durch den hohen Vorfertigungsgrad der Bauteile steigt die Qualität und die Bauzeit verkürzt sich erheblich.

Wie hoch ist die Graue Energie in den Holzbauteilen?

Das kommt darauf an …

Worauf?

Auf den Zeitpunkt, bei dem Sie Ihre Betrachtung beginnen. Für das Ernten, Sägen und weitere Bearbeiten des Holzes ist der Energieaufwand im Vergleich zur Herstellung von Stahl, Zement und Ziegeln, die unter sehr hohen Temperaturen geschieht, sehr gering. Aber natürlich stecken auch im Holz große Mengen Energie: Sonnenenergie! Damit ein Baum wachsen kann, nimmt er sehr viel von ihr auf. Sie ist sozusagen in seinem Holz gespeichert – und wird wieder frei, wenn man das Holz verrotten lässt oder verbrennt. Das sollte man aber erst am Ende einer sinnvollen Nutzungskette tun, denn dann wird auch das gebundene CO2 wieder frei.

Was ist gebundenes CO2?

Ein Baum betreibt wie jede Pflanze Photosynthese. Er braucht dazu Sonnenenergie, diverse Nährstoffe, Wasser und vor allem CO2. Das CO2 zerlegt er, gibt Sauerstoff (O2) an die Atmosphäre ab und baut Kohlenstoff (C) in die Molekülstruktur seines Holzes ein. Lässt man das Holz verrotten oder verbrennt es, kehrt sich der Prozess um: der Kohlenstoff (C) des Holzes verbindet sich mit dem Sauerstoff der Atmosphäre zu CO2. Bildlich gesprochen: Die im Holz gebundene CO2-Menge wird wieder freigesetzt. Deshalb ist es aus der Sicht des Klimaschutzes entscheidend, dass das Holz aus dem natürlichen Kreislauf des ständigen Werdens und Vergehens herausgelöst und stofflich genutzt wird: am besten unverändert, als Baumaterial. Bauen mit Holz ist deshalb aktiver Klimaschutz.

Warum wird dann nicht mehr in Holz gebaut?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen gibt es immer noch eine Menge Vorurteile gegen die Holzbauweise, die sich zwar alle schlüssig widerlegen lassen, aber trotzdem sehr hartnäckig sind. Zum anderen ist der Holzbau etwas teurer als andere Bauweisen, weil er kein industrielles Massenprodukt ist, sondern ein arbeitsintensives Handwerk. Seine überragende CO2-Bilanz bildet sich eben leider nicht im Preis ab, solange wir keine flächendeckend dynamisierte CO2-Steuer oder CO2-Budgetierung haben. München führte deshalb einen sogenannten „CO2-Bonus“ ein – als erste deutsche Stadt, unseres Wissens sogar als erste Stadt weltweit: Seit 1. Mai 2013 wird jedes langfristig verbaute Kilogramm CO2 mit 30 Cent gefördert. Ein richtungsweisendes Vorgehen, dem möglichst viele Kommunen folgen sollten, solange auf Landes-, Bundes- oder Europaebene nichts geschieht, um eine ökologische Kostenwahrheit einzuleiten.

Gibt es überhaupt genügend Wald und Holz?

Ja, es gibt genügend. Der deutsche Holzvorrat wächst seit Jahrzehnten stetig an, weil noch mehr Holz nachwächst, als geerntet wird. Aber Vorsicht: Wenn fremde Gelüste greifen, könnte es mit Überfluss und Unschuld des Holzes ganz schnell vorbei sein! Eine Untersuchung zeigte, dass ein Drittel der jährlichen Holzernte reichen würde, um sämtliche Neubauten in Holzbauweise zu errichten. Das darf jetzt aber nicht als Plädoyer für Neubauten missverstanden werden. Die energetische Modernisierung unseres überwiegend desolaten, aber unwiederbringlichen Gebäudebestands ist die große Herausforderung der kommenden Jahrzehnte.

Wegen der Grauen Energie?

Auch, ja, aber vor allem aber wegen des Heizenergiebedarfs. Neubauten erweitern unseren Gebäudebestand jedes Jahr um weniger als 1 %. 75 % des Gebäudebestands jedoch stammen aus der Zeit vor der ersten Wärmeschutzverordnung (WSchVO) von 1977. Sie weisen einen enormen Heizenergiebedarf von 150 bis 300 kWh/(m2a) auf – drei- bis sechsmal so viel wie heutige Neubauten. Und auch die Gebäude, die nach 1977 entstanden, näherten sich nur langsam dem heutigen Niveau an und brauchen noch relativ viel Heizenergie. Je höher aber der Heizenergiebedarf, desto höher auch das Einsparpotenzial durch eine energetische Modernisierung, die zuvorderst aus einer klugen Dämmstrategie bestehen muss.

Wie sieht die Wärmedämmung bei Ihrer Wohnanlage in München-Sendling aus?

Das waren vorgefertigte Holzrahmenelemente mit 21 cm Wärmedämmung, die einfach vor die bestehende Außenwand gestellt wurden. Die Fuge zwischen Alt und Neu füllten wir dann mit Zellulosedämmung, 4 bis 10 cm, weil die Oberfläche des Bestands nicht exakt eben war. Der Heizenergiebedarf reduzierte sich hauptsächlich dadurch – aber natürlich auch durch weitere Maßnahmen – von 195 auf 21 kWh/(m2a), also um fast 90 %.

Warum die Aufstockungen, der Anbau und der Neubau?

In München herrscht eine immense Nachfrage nach Wohnraum, gleichzeitig soll einer Zersiedelung entgegengewirkt und vorhandene Infrastruktur besser genutzt werden. Für den Eigentümer der Wohnanlage, die GWG München, dienen die neu geschaffenen Vermietflächen auch dazu, die Modernisierungskosten zu finanzieren. Und das gesamte Wohnquartier samt seiner Freiräume gewann grundlegend an Wohnwert, Gestaltqualität und Identität.

Herr Lichtblau, herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

 

Portrait Florian Lichtblau

Florian Lichtblau ist Architekt und führt seit 1984 ein eigenes Büro in München, seit Beginn theoretisch und praktisch mit den Themen Nachhaltigkeit, Solarenergie und Holzbau in der Modernen Architektur. 2011 modernisierte er zusammen mit Herrmann Kaufmann eine typische 1950er-Jahre-Wohnanlage in München-Sendling in neuartiger Holzbauweise und sorgte damit in der Fachwelt für großes Aufsehen. Als Mitglied des „Netzwerks Holzbau München“ wirkte er u.a. an der Entwicklung des Münchner „CO2-Bonus“ mit.

http://www.lichtblau-architekten.de

Zimmerer für den Klimaschutz!

Holzbau ist Klimaschutz. Dokumentation zur Aktion "STOP CO2" am 19. Februar 2014 vor dem Kölner Dom

Film zur Aktion "STOP CO2"

 19. Februar 2014 vor dem Kölner Dom in Köln